Zehn Momente in
Jacques Rivette: Ne touchez pas la hache
Honoré de Balzac: Die Herzogin von Langeais
1
«Merkst du’s?» flüsterte ein Soldat
seinem Nachbar ins Ohr, «auch hier ist Frankreich!»
2
[Der Priester] «führte ihn den Friedhof entlang durch einen von hohen Bäumen beschatteten Kreuzgang, dessen Kühle ihn wohlig umfing.» […]
[Das Sprechzimmer war] «durch ein hohes Gitter in zwei ungefähr gleich große Teile geschieden. Ein großer brauner Vorhang fiel längs des Gitters bis zum Fußboden nieder.»
«Der braune Vorhang wurde zur Seite gezogen. Hinter dem Gitter erblickte er im Halbdunkel eine dichtverschleierte Frauengestalt in der Tracht der Karmeliterinnen.»
3
[Der Blick der Herzogin] «blieb an einem Manne haften, der ihr völlig unbekannt war. Seine ernsten, edlen Züge überraschten sie. Während sie ihn ansah, fühlte sie etwas wie Furcht zu ihrem Herzen strömen.
„Meine
Liebe,“ fragte sie Madame de Maufrigneuse, „wer ist der neue Stern an unserm
Himmel?“
„Einer, von dem Sie gewiß schon sprechen hörten – der Marquis de Montriveau!“
„Ah, der ist es?“
Sie nahm ihr Lorgnon und prüfte ihn ganz ungeniert, als hätte sie ein Gemälde vor sich, das dem kritischen Blick des Beschauers wehrlos preisgegeben ist.»
4
«Als er in den Salon kam, empfingen ihn himmlische Akkorde. […]
„Allmächtiger, was spielen Sie da?“ sagte er ergriffen.
„Das Vorspiel zu einer Romanze. Ich glaube, sie heißt ‚Fleuve du Tage‘!“
„Bis heute wußte ich nicht, was Klavierspiel mir sein kann!“»
5
«„Was mich auf dieser Reise am meisten überraschte, …“ erzählte Armand, so laut, daß Antoinette ihn hören mußte, „das sind die Worte des Wächters von Westminster, wenn er das Beil zeigt, mit dem ein maskierter Mann Karl dem Ersten das Haupt abschlug. Zum Gedächtnis an den König gebraucht er die gleichen Worte, die dieser einst gesprochen hatte, als er das Beil einem Kunstkenner zeigte.“
„Was sagte er?“ warf die Gräfin Serizy ein.
„Rühren Sie das Beil nicht an!“ antwortete der General.
Es klang wie eine Drohung.
„Ach, das ist eine alte Geschichte!“ sagte die Herzogin lachend, während die innerlich schauderte, „jeder kennt sie, der nach London kommt. Aber Sie setzen dabei eine so tragische Miene auf, daß man meinen könnte, Sie hätten das Beil in der Hand.“
„Aber zufällig ist diese Geschichte ganz aktuell!“ entgegnete er.
„Wieso denn, bitte? Haben Sie die Güte, mir zu sagen, inwiefern?“
„Insofern, Frau Herzogin, als Sie das Beil berührt haben!“ flüsterte er ihr ganz leise zu.
6
«Er nahm ein Stück Stahl vom Tische, das in einem Lothringerkreuz endete, und fuhr fort:
„Um Ihre Zweifel zu bannen, sollen Sie nun erfahren, was über Sie beschlossen ist. Zwei meiner Freunde bringen in jenem Raume ein Kreuz zum Glühen, dessen Modell Sie hier sehen. Wir werden es Ihnen auf die Stirne brennen – hier, zwischen die Augen, …
… damit Sie es nicht etwa durch ein paar Juwelen verdecken und auf diese Weise peinlichen Fragen ausweichen können. So werden Sie für immer das Schandmal auf der Stirne tragen, das den Zuchthaussträflingen, Ihren Brüdern, zwischen die Schultern aufgebrannt wird! …“»
7
«Ihre Augen waren geschlossen und blieben es, getreu ihrem Worte […] so schritten sie treppauf, treppab und durch enge, winklige Gänge langsam weiter. […]
Nachdem sie eine Zeitlang nebeneinander gegangen waren, blieb Montriveau stehen und bat sie, voranzugehen. Offenbar war der Weg an dieser Stelle sehr schmal. Denn sie merkte, daß er das Streifen ihres Rockes an den Seitenwänden zu hindern suchte. […]
Ein wärmerer Luftstrom wehte ihr entgegen, …
… sie öffnete unwillkürlich die Augen und stand – vor dem Kamin im Boudoir der Gräfin Sérizy.
Sie war allein. Ihre erste Sorge galt ihrem Haarschmuck und ihrer Kleidung, die bei der Entführung nicht wenig gelitten hatten. …
… Kaum hatte sie beides in Ordnung gebracht, da öffnete sich die Türe und Gräfin Sérizy trat ein.»
8
«Es war acht Uhr.
[…] Montriveau hatte inzwischen mit einigen Freunden eine wichtige Unterredung. …
… Er drängte zum Schluß, aber seine Uhr ging nach, […].»
9
«Einige Monate später verließ eine bewaffnete Handelsbrigg den Hafen von Marseille und stach nach Spanien in See. […] Vierundzwanzig Stunden nach ihrem Auslaufen stoppte die Brigg im Nordwesten einer der spanischen Küste gegenüberliegenden Insel.»
10
«Die falsche Nonne schlug den Schleier nieder, öffnete die Türe und trat mit Montriveau in den Vorraum der Zelle.
Da lag die Herzogin, von zwei Wachskerzen beleuchtet, auf den bloßen Brettern ihres Bettes – tot.»
*
Honoré de Balzac: Die Herzogin von Langeais; in: Geschichte der Dreizehn. Aus dem Französischen übersetzt von Victor von Koczian. Diogenes, 1977.
Zum Film – Stab, Besetzung, Handlung, Varia etc. – s. wikipedia.de.
(7. Juli 2022)
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